Du hast schon eine Dokumentation (2009 „Wer hat Angst vor Wilhelm Reich?“,
Anm.) gemacht, jetzt einen Spielfilm – was ist die Faszination an der Person
Wilhelm Reich?
Antonin Svoboda: Ich finde es sehr mutig, scheinbar einfache Fragen in einer
komplexen Welt zu stellen, in der oftmals das Wesentliche nicht mehr sichtbar ist.
Zwar hat sich Reich auch mit komplexen Vorgängen im Menschen und in der Natur
beschäftigt, aber seine Suche war immer eine Suche nach Einfachheit. Die Frage, ob
es ein einfaches Prinzip hinter all den Dingen gibt, ist sehr faszinierend und
irgendwie auch befreiend.
Wenn es etwas Persönliches gibt, was mich an Reich fasziniert, dann ist es letztlich
sein intuitiver Zugang. Intuition vielleicht auch als Phänomen, geleitet zu sein.
Sei es seine intuitive Behandlung von Menschen, mit der er sich von der Freud’schen
Psychoanalyse abgewendet hat, oder die intuitive Beobachtung der Vorgänge in der
Natur. Reich hat sich immer selbst in den Beobachtungs- beziehungsweise
Behandlungsprozess mit einbezogen. Damals wie heute ein Tabu in der
Psychoanalyse, ein Muss anderseits in der Forschung seit der Heisenbergschen
Unschärferelation.
Er war eine ambivalente Persönlichkeit, die auch sehr viele Feinde hatte. Das
Problem wird in der Dokumentation stark aufgezeigt. Was hat dich dazu
bewogen, jetzt noch einen Spielfilm über ihn zu drehen?
Antonin Svoboda: Der Spielfilm war eigentlich die erste Idee. Es hat vor sieben Jahren mit dem
ersten Drehbuchentwurf begonnen und mir war bald klar, dass ich mir einen großen
theoretischen Background erarbeiten und intensiv recherchieren muss. Dadurch
wurde das Drehbuch irgendwie überfüllt und überladen, so dass es einfach keine
sinnliche Annäherung mehr war. Mich hat der wissenschaftliche Stoff und die äußerst
umfangreiche Biografie mehr oder weniger erschlagen. Also war der nächste Schritt,
erst einmal eine Dokumentation daraus zu machen. Danach konnte ich mich dem
Kern der Geschichte und der Person gegenüber wieder öffnen und in eine
emotionale Geschichtenerzählung zurückfinden.
Die letzten zweieinhalb Jahre habe ich dann intensiv mit Klaus Maria Brandauer am
Drehbuch gearbeitet und dadurch haben sich die wichtigen Stationen und Momente
des Grenzgängers Reich heraus kondensiert.
Was macht die historische Persönlichkeit so heutig?
Antonin Svoboda: Es hat sich einfach nicht so wahnsinnig viel in den letzten 50, 60 Jahren
verändert. Klingt verrückt, ist aber so. Die Welt verändert sich äußerlich, ihr
Erscheinungsbild wird mechanistischer, auch durchwegs interessanter und
komplexer. Im Grunde aber stehen wir wie damals vor denselben Problemen.
Großmächte kämpfen mit immer stärkeren Wirtschaftslobbys um Machterhaltung und
-erweiterung. Der einzige Zahler und Leistungsträger dabei ist der arbeitende
Mensch. Das hat Reich auch schon in den 30ern beschrieben, seine Vision von einer
sozialen Arbeitsdemokratie. Natürlich muss die unmittelbare Konfrontation mit
Atomenergie und der Atombombe in den 50ern noch einmal etwas anderes gewesen
sein, aber die Gefahr ist geblieben. Wir haben möglicherweise das Gefühl, das
Ganze besser kontrollieren zu können, vor allem durch staatliche Kontrollen, in
wieweit das Gefühl, dieser Glaube noch gültig ist, wird täglich fragwürdiger. Die
Angst vor den Gefahren und die Suche nach alternativen Lösungsmöglichkeiten ist
geblieben. Nichts anderes hat Reich damals intuitiv gesucht. Er wollte praktische
Ansätze finden und das ist faszinierend und notwendig, möglicherweise notwendiger
denn je.
Die Erfindung dieser Regenmaschine von Reich – was ist das für ein Gerät?
Antonin Svoboda: Das ist ein Cloudbuster – und mit dem hat Wilhelm Reich sozusagen die
Atmosphäre beeinflusst und unter anderem eben auch Regen verursacht.
Mit welchem Ziel?
Antonin Svoboda: Reich hoffte damit sein kontaminiertes Areal Orgonon in Maine, das damals
durch einen Radium-Unfall beeinträchtigt wurde, von dieser Verstrahlung zu befreien.
Da diese Verstrahlung hauptsächlich in der Luft war, hat er ein Instrument benötigt,
mit dem er auf die Luft Eingriff nehmen konnte. Es ist aber gar nicht so verrückt,
wenn man den roten Faden in Reichs Forschung verfolgt. So wie die alten Griechen
schon vom Gleichgewicht der Körperflüssigkeiten sprechen, wir übrigens bis heute
mit Begriffen wie zb “im Saft stehen“, so hat Reich ebenfalls den Menschen wie die
Natur als dehydriert oder eben mit guten Energiefluss betrachtet. Wasser ist unser
Hauptmedium, und wie wir mittlerweile wissen, eines der ältesten Speichermedien.
Wie ist das Verhältnis zwischen Fakten und Fiktion in dem Film?
Antonin Svoboda: Ein Film ist immer eine Art von Überhöhung. Jeder Spielfilm, auch ein Biopic
oder Periode Picture muss kondensieren und dramatisieren. Das ist schlicht dem
Geschichten Erzählen immanent. Alle historischen Elemente, die vorkommen,
basieren auf wahren Begebenheiten. Ich wollte nicht versuchen, innerhalb der
Forschung Reichs oder seiner politischen Verfolgung noch etwas zu erfinden. Die
Geschichte an sich ist schon so fantastisch oder ungeheuerlich, dass es Grundlage
genug für den Spielfilm war. Man nehme nur seinen Weg von einer körperorientierten
Psychotherapie bis hin zum „Regen machen“ im Sinne einer Heilung der
Natur.
Welche Elemente seines Lebens geben Stoff für einen Politthriller?
Antonin Svoboda: Für den Politthriller ist die amerikanische Epoche seines Lebens
ausschlaggebend, weil dort all sein Handeln und Forschen als tatsächlich politisch
bedrohlich gesehen wurde. Zuvor, in Europa, war er mehr mit gesellschaftlichen
Verfolgungen konfrontiert. Überall dort, wo er mit seiner Forschung die Soziologie in
die Psychotherapie einbrachte oder in gesellschaftliche Tabus vorgestoßen ist, zum
Beispiel eine freie Sexualität zu erdenken und auch auszuleben.
Aber wie gesagt, ein Politthriller ist es erst geworden, nachdem er in Amerika zuerst
Probleme mit der Pharmaindustrie bekam, weil er nach alternativen Ansätzen für die
Krebsforschung gesucht hat. Dann kam durch seine Experimente mit Radium die
Atombehörde ins Spiel und natürlich die mächtige FDA (Food & Drugs Association),
also die Gesundheitspolizei wenn man so will, vor der CIA die Kontrollinstanz im
Lande, mit Mitarbeitern, die Waffen tragen durften.
Macht das auch einen Teil der Faszination aus, dass er eben auch so eine
umstrittene Figur war und seine Überzeugungen trotzdem bis zur bitteren
Konsequenz vertreten hat?
Antonin Svoboda: Natürlich. Es wäre langweilig, eine lineare Figur zu beschreiben, wo am Anfang
wie am Ende klar ist, wo’s hingeht und was passieren wird. Es ist die
Unberechenbarkeit Reichs und seine Sehnsucht und Suche nach der Wahrheit
innerhalb seines Forschungsgebiets, die den Spannungsbogen dieser Figur
zeichnen. Und es ist die Geschichte eines Menschen, der sich über die fragwürdigen
Konventionen einer manipulativen Gesellschaft dem natürlichen Wesen Mensch
verschrieben, ja hingezogen gefühlt hat.
Eine Figur, die prädestiniert ist für Klaus Maria Brandauer?
Antonin Svoboda: Wenn man die Möglichkeit hat, mit einem so erfahrenen Schauspieler wie Klaus
Maria Brandauer zu arbeiten, dann ergeben sich zwangsläufig Fragen nach dem
„anders Darstellbarem“. Eine weitere dramatisierte Gefühlsklamotte, ein weiteres
Action aufgeladenes Hollywood Drama war nicht unser Ziel. Sein durch Nicht sein
sagen die Taoisten, wirken durch Ausstrahlung, eine Rolle, die von Innen nach
Außen leuchtet, vielleicht eine Aura erzeugen, die man auch Reich nachgesagt hat,
manchmal lachend wie ein Buddha, manchmal unerbittlich wie ein General. Im
Grunde aber eine Entschleunigung der Bilder, der Momente, um den Blick wieder
Frei zu machen für andere Dimensionen unseres Lebens und unserer Gesellschaft.
Somit war er mein Wunschschauspieler und ist es schließlich auch geworden.