Was finden Sie an der Person Wilhelm Reich interessant?
KLAUS MARIA BRANDAUER: Wilhelm Reich war ein Grenzgänger, ein Tausendsassa,
ein Querulant, eine faszinierende, widersprüchliche und auch sehr umstrittene
Person. Da ist es nicht leicht, einen Weg zu finden, der zu einer kompletten
Persönlichkeit führt. Der wichtigste Punkt war für mich, Reich als jemanden zu
zeigen, der der Menschheit wirklich und um jeden Preis helfen will, weiter zu
kommen! Er meinte das alles sehr ernst, auch seinen Kampf gegen die Atomenergie
zum Beispiel. Aber nur seine Biografie zu illustrieren wäre langweilig, man muss ihn
als Menschen im Spannungsfeld von Wissenschaft, Politik und Privatheit verstehen.
Das ist dann eine sehr reizvolle Aufgabe für einen Schauspieler.
Sie haben die Atomkraft angesprochen, auch seine Ansicht, wie sich das
Individuum in der Masse verhält und wie daraus Konflikte entstehen können.
KLAUS MARIA BRANDAUER: Richtig originell ist ja fast gar nichts mehr, weil so gut wie alles schon mal
verhandelt worden ist - vor fünf, zehn, zwanzig, fünfzig, hundert oder zweitausend
Jahren und damals vielleicht tiefgründiger und sorgfältiger als heute. In unserem
Chaos aus Informationen, Bildern und Texten ist es sehr schwer geworden, den
Durchblick zu behalten. Alle sind informiert und trotzdem weiß keiner, was wirklich
Sache ist. Und hier kommt wieder der Reich ins Spiel, sein Ansatz, das alles mit
allem verbunden ist, den belächelt jetzt niemand mehr, im Gegenteil! Man darf –
ganz in seinem Sinne - den gegenwärtigen Zustand nicht beklagen, sondern muss schauen, wohin der Weg führt.
Wie konnte Wilhelm Reich in einer solchen Welt als Individuum seinen Weg
finden?
KLAUS MARIA BRANDAUER: Reich hatte es wirklich nicht leicht, die Zeitläufe waren gegen ihn. Zuerst
haben sie in Europa seine Bücher verbrannt und ihn fast ums Leben gebracht, dann
geht er nach Amerika und dort findet er nicht die Freiheit, sondern er wird ins
Gefängnis geworfen und sieht sich enormen Anfeindungen ausgesetzt. Sogar Freud
und Einstein sind gegen ihn und doch behauptet er sich immer wieder, bis es eben
für ihn vorbei ist. Er war einer der stört. Aber es braucht unbedingt solche Menschen,
die immer wieder Sand ins Getriebe werfen. Auch die Demokratie, die wir heute
haben, den Wohlstand, die Freiheit, das braucht immer wieder die Irritation, das
Hinterfragen, den Widerstand. Demokratie ist kein Zustand, sie muss vielmehr immer
wieder neuerkämpft und vertreten werden.
Wenn man sich jetzt das Leben vom Wilhelm Reich anschaut, dann könnte
man, wenn man es sehr pessimistisch betrachtet, sagen: Eigentlich hat er auf
voller Linie verloren, weil er seinen Ideen gefolgt ist und seine Überzeugungen
bis zum bitteren Ende vertreten hat. Ist so eine pessimistische Weltsicht auch
heute angesagt?
KLAUS MARIA BRANDAUER: Nur weil eine Idee vor ihrer Zeit aufkommt ist sie ja nicht falsch, sie setzt sich
vielleicht im Moment noch nicht durch, aber ihre Zeit wird kommen. Willhelm Reich
war gegen vorgefasste Meinungen und Strömungen. Er hat seinen Traum gelebt und
mit seinen Ideen etwas in uns gepflanzt. Ich muss ja nicht sein wie er, aber es ist
wichtig, dass es solche Menschen wie ihn gibt. Stellen Sie sich mal vor wir hätten
lauter Hamlets, lauter Zögerer, dann würde die Welt sich überhaupt nicht mehr weiter
entwickeln. Wir müssen eben sehr aufmerksam sein, dass wir die „Wilhelm Reichs
von heute“ nicht übersehen. Es kommt auf jeden einzelnen an, Qualität kommt immer
vor Quantität, das gilt auch für Ideen!
Träume auf die Bühne oder vor die Kamera zu bringen – ist es das, was sie so
reizt an der Tätigkeit des Schauspiels?
KLAUS MARIA BRANDAUER: Ich kann mit dem Begriff Schauspielerei erst einmal nicht viel anfangen, denn
das klingt ja nach einer Tätigkeit, wo man nur so tut als ob und so ist es ja nicht. Mich
interessieren Gedanken und die Gemeinschaft, ich könnte auch sagen
Kommunikation. Ich möchte etwas machen, das möglichst viele Leute interessiert. Im
besten Fall verbessert es meine Lebensqualität und auch die der Menschen, die mit
dabei sind. Bei aller Träumerei: Der Moment ist wahr, der Moment ist entscheidend.
Glauben Sie, dass so ein Fitzelchen von einem Moment auch irgendetwas
verändern kann?
KLAUS MARIA BRANDAUER: Ob der Moment wirklich etwas verändern kann, weiß ich nicht. Aber ich denke,
es geht darum, die Kraft zu haben, den Moment durchzusetzen, selbst wenn man
sich wie in meinem Beruf an Menschen richtet, die man nicht kennen lernt. Das gilt für jede Tätigkeit, egal welchen Beruf – obwohl ich selbst oft Zweifel habe, ob das, was ich mache, wirklich ein Beruf ist.